Familienverband

Hundhausen

Wird Krupp helfen?

Mein Urgroßvater Johann Heinrich Hundhausen (1823 – 1904) war in Essen mit Alfred Krupp befreundet; meine Urgroßmutter Eleonore geb. Müller (1827 – 1904) war bei den Krupps Haushälterin gewesen. – Der Bruder und Schwager Eduard Hundhausen aus Magdeburg schrieb daher an meinen Urgroßvater, damit dieser für ihn bei Krupp – wie der Brief näher erläutert - „ein gutes Wort einlegen sollte“.

Es ist ein interessantes Dokument aus der Zeit nach den Gründerjahren. (Den Brief habe ich buchstabentreu abgetippt).

Werner Hundhausen


Eduard Hundhausen, Magdeburg, den 22. April 1893

Lieber Heinrich!

Dein lieber Neujahrsbrief vom vorigen Jahre liegt noch immer unbeantwortet da. Nicht ist es Gleichgültigkeit oder gar Herzlosigkeit gegen Dich und Euch alle die mich schweigen ließ. Seit November 91 habe ich eine böse, schwere, sorgen- volle Zeit durchgemacht, von der ich Euch nichts mittheilen wollte. Ihr mochtet alles andere von mir und uns denken und Euch meine Nichtschreiberei zurecht legen wie Ihr wolltet, nur solltet Ihr nicht mit in unsere Sorgen, an denen Ihr doch nichts hättet ändern können, hineingezogen werden. Es war mir beruhigender, daß Ihr nichts davon wußtet.

Im November 90 kaufte ich in der Nähe meiner 9 1/5 Morgen Acker und Garten weiter 4 ½ Morgen für rund Mark 50.000 und zahlte hierfür Mark 23.000, die ich mir vom Bankier borgte, an. Nach damaligen Begriffen war der Kauf sehr billig – Im Oktober 91 verkaufte ich an ein Consortium reicher Leute von meinem Acker 139 a und von dem neu erworbenen Acker 68 a für 244.000 baar. Diese Summe hätte mir nach Abzug meiner sämmtlichen Schulden von 93.000 noch M. 157.000 übrig gelassen, wobei mir noch mein neu und gut angelegter Garten von 96 a und von den erkauften 4 ½ Morgen 44 a schuldfrei verblieben.

Der Kauf war abgeschlossen und sollte Anfangs November durch eine namhafte Anzahlung besiegelt werden. Mit einem der Käufer einem Hauptmann a.D. aus Halle saß ich in Magdeburg. Wir warteten auf den Schwager des Hauptmanns einen bekannten Herrn von Buhse der von Berlin gegen Mittag kommen sollte und Geld bringen. Statt dessen kam eine Depesche: “Ich kann nicht kommen, meine Frau und Schwägerin plötzlich erkrankt”. Mein Hauptmann wurde leichenblaß. Die Krankheit kenne ich sagte ich ihm! Die sind an leere Kasten gekommen! Ich hatte nemlich schon tags vorher von dem Fall Friedländer & Sommerfeld in Berlin, die Mark 6,000,000 unterschlagen hatten, und damit den Tanz des Verderbens eröffneten, gehört. Der arme Hauptmann verlor hierbei auch wie ich später hörte über Mark 100,000.
Die vorerwähnten 4 ½ Morgen hatte ich von einem Berliner gekauft. Das Restkaufgeld von 27.000 Mark war 5 Jahre zu 4 % festgeschrieben, d.h. bei pünktlicher Zinszahlung. Die Zinsen zahlte ich meist schon vorher. Im Oktober 91 hatte ich aber wegen meines Verkaufs eine Reise nach Leipzig & Halle und mußte noch einen Tag auf den Hauptmann warten; da ich beim Verkauf die 27000 M. hätte kündigen müssen, wollte ich dies mit der Zinszahlung verbinden, und da ich das Geschäft noch nicht abschließen konnte und erst am 8. October Abend zurückkehrte, sandte ich am 9ten Morgens gleich die Zinsen nach Berlin und erhielt auch bereits am 10. October die Kündigung des Kapitals. Hierüber war ich zwar ärgerlich, aber doch froh, weil ich nun nicht mehr zukündigen brauchte. Der Verkauf war bis auf die Anzahlung, die mir ja viel mehr als die abzuzahlende Hypothek brachte, verabredet. Ich konnte dabei guten Muthes sein. Dies änderte sich aber von Anfang November. Die Fallistements, Bankkrache, Unterschlagungen etc. etc. mit dem schrecklichen Gefolge von Durchbrennen, Entleiben etc. folgten Schlag auf Schlag. Das Vertrauen schwand und Geld war nicht mehr zu schaffen. Handel und Verkehr beschränkte sich auf das zunächst zur Erhaltung der Existenz Nothwendigste. Ich konnte die Mark 27.000 Hypothek nicht beschaffen, es war alles entwerthet. Nur baares Geld hatte einen Werth und hiervon war Gott sei dank genug da, nur wer es hatte hielt es fest, und wer es brauchte bekam es nicht.
Mein Vorbesitzer Pfeffer in Berlin, ein Wucherer sonder Gleichen, wollte den Acker wieder haben und die miserable Geschäftslage ausbeutend, brachte er denselben zur Zwangsversteigerung welche am 18. October vorigen Jahres stattfand. Außer meinem Bankier kam niemand zum bieten, obgleich ich wohl an 20 Menschen darum gebeten hatte, mit dem Bemerken daß ich ihnen dankbar sein würde, wenn sie nur bis zur Hypothekenhöhe bieten würden. Anzahlung, Zinsen etc. wollte ich gerne schwinden lassen.

Mein Vorbesitzer Pfeffer, dieser Teufel in Menschengestalt war unverfroren genug, für die 4 ½ Morgen die Versteigerungskosten, die er ja doch hätte bezahlen müssen, Mark 135 anzubieten. Mein Bankier bot indessen bis 20.000 Mark worauf Pfeffer Mark 20.500 bot und den Zuschlag erhielt.
Hierdurch verlor ich, abgesehen von dem entgangenen Gewinn, Mark 23.000 Anzahlung, Mark 5000 zweijährige Zinsen und Mark 6500 die ich dem Hallunken noch bezahlen muß.
Zudem allem kamen nun noch die laufenden Zinsen für die anderen Kapitalien, Hausmiethen, Löhne, Haushaltungskosten und der trockene Sommer, der mir eine Mindereinnahme von mindestens Mark 2000 verursachte. Es blieb mir nichts übrig als 24 ½ Morgen Wald, die ich vor 8 Jahren für circa Mark 10000 kaufte und die mich bis voriges Jahr nahe an Mark 15000 kosteten für circa Mark 8000 zu verschleudern. So gingen die erarbeiteten und angesammelten Groschen verloren. Das gaben schlaflose, sorgenvolle Nächte und kummervolle Tage, und nur mein Gottvertrauen und das Bewußtsein, daß Niemand an mir auch nur einen Pfennig verlieren konnte, und alle die mit mir zu thun hatten Geld verdient haben, hielt mich aufrecht.
Die Übernahme des Brusonwerks durch Deinen Cheff den Herrn Geheimrath Krupp brachte mir den ersten Sonnenschein in diese vergangene finstere Zeit. Für mich war dies das Signal zum Anbruch einer besseren Geschäftszeit.
Am 13. Februar d.J. schrieb ich an Hr. Gehrth. Krupp zu Händen des Herrn Geheimrath Jencke und bot ihm den auf beiliegendem Lageplan blau schraffirten Acker zum Bau von Häusern für Beamten und Arbeiter das qm zu Mark 15 an.
Hierauf erhielt ich bereits am 22. Februar beiliegenden Brief und von dem Grusonwerk den ebenfalls beiliegenden Brief vom 24. Februar d. J.
Augenblicklich kann Hr. Krupp als Pächter des Grusonwerks in der Sache nichts thun was nicht das Werk direkt angeht, ebenso kann das Directorium des Grusonwerks als Verpächter nichts thun.
Überhaupt hat die Actiengesellschaft Grusonwerk kein Interesse am Bau von Beamten- und Arbeiterwohnungen, weshalb ich beide Briefe wohl verstehe und von diesen Gesichtspunkten aus auch aufgefaßt habe. Herr Geheimrath Krupp wird aber nicht Pächter bleiben sondern Eigenthümer werden wollen, wenn er es nicht schon jetzt ist, und dann hat er an der Sache ganz anderes Interesse als vordem.
Die Wohnungsverhältnisse in Buckau sind die möglichst ungünstigsten. Theuer und schlecht und eng.
Wie Du aus beiliegendem Bebauungsplan des Terrains zwischen Buckau und Sudenburg ersiehst, ist um das Grusonwerk, welches ich auf dem Plan mit Blaustift umgrenzt habe und mit “Krupp” bezeichnet habe nördlich die sogenannte Insel, engbebaut, östlich ist die Freie-Straße, südlich Kloster Berge’scher Acker und westlich verschiedene Ackerparzellen.
Kloster Berge verkauft nichts unter Mark 20 das qm. Mein blau schraffiertes Stück welches sich an dem 5-6 m breiten Klostergrabenwege in einer Länge von 400 m hinzieht ist 32 – 39 m breit. Der Klostergrabenweg gehört zum Grundstück, sein Flächeninhalt ist aber nicht in den Maaßen des Ackers mit enthalten. Seiner Lage nach eignet sich mein Acker am besten von allen umliegenden Äckern zur Erbauung von Wohnungen.
Auch habe ich dem Hr. Geheimrat Jencke eine genaue Berechnung mitgeschickt nach welcher sich das qm effectiver Baufläche bei meinem Acker auf rund Mark 19,21 stellt, während sonst ringsherum das qm nicht unter Mark 28,67 hergestellt werden kann. Es macht dies bei der ganzen Fläche Mark 234,000 gegen Mark 344,000.

Es ist nun hier auch noch ein Spar- und Bauverein der auf den Acker reflectiert und dem ich auch denselben zu gleichem Preise angeboten habe. Lieber ist es mir aber, wenn Krupp denselben kauft.
Ich möchte nun gerne einmal mit einer maßgebenden Persönlichkeit über diese Angelegenheit persönlich verhandeln, weiß aber nicht ob jemand auf dem Grusonwerk dazu autorisiert ist, kann dies hier auch kaum erfahren, da ich nicht gerne mit den Directoren Dohrmann (den ich persönlich kenne) und Klemperer darüber sprechen möchte.

Meine Bitte an Dich geht deshalb dahin, mir wenn Du es kannst mitzutheilen, an wen ich mich da am besten persönlich wenden kann und wo ich diesen Herrn am sichersten treffe. Wenn es erforderlich oder zweckmäßig ist, würde ich dieserhalb auch nach Essen kommen oder wo anders hin reisen.

Kommt dies Grundstück erst in andere Hände, und ich muß es verkaufen weil mir die Hypothek von Mark 50,000 gekündigt ist, dann wird das qm statt jetzt Mark 10 oder die ganzen 139 a Mark 208.500, mindestens pro qm Mark 20 –25 oder die 139 a Mark 278,000 – 347,500 kosten.

Meiner Ida geht es ihrem Alter entsprechend, sie wird im Herbst 74 Jahre alt, gut. Theodor ist in Berlin und bemüht sich um einen Redacteurposten. Er ist durch und durch Politiker. Meta versieht hier den Haushalt und reist morgen auf 8 Tage nach Berlin zur Hochzeit einer Freundin.
Mir geht es körperlich auch gut, nur gebe es Gott in Gnaden, daß ich bald der großen Sorgen enthoben werde und mir und meinen Kindern das redlich erworbene Vermögen erhalten bleibt.

Sende mir alle Beilagen, die ich nicht lange entbehren kann mit beiliegendem Briefumschlag so bald als möglich zurück.

Grüße Lorchen und Deine Kinder herzlich von uns und seid alle der Gnade Gottes empfohlen.

In Liebe Dein Bruder Eduard